StadtMensch


Dieser Katalog erschien anlässlich der Ausstellung 

ULRICH J. WOLFF   StadtMensch

in der Galerie Knecht und Burster, Karlsruhe
in der Galerie Luther, Dinslaken 

Text: Thomas Kurtz

Auflage: 1000, 21 x 21 cm, 40 Seiten

 

 

KATALOGTEXT:

Mit Schwarz das Licht formen

Stadtbilder – Foto-Aquatinta-Radierungen

Schwarz ist keine Farbe. Schwarz ist das Fehlen von Licht. Was für die Physik gilt, scheint Ulrich J. Wolff jedoch in seinen grandiosen Radierungen nur wenig zu interessieren. Der schnöden Theorie setzt er seine Stadtlandschaften entgegen. Und plötzlich ist Schwarz doch eine Farbe und das ideale Material, um Licht zu gestalten, um ihm eine Form zu geben. Schwarz ist hier nicht die Abwesenheit von Licht, sondern das Materielle schlechthin, das formgebende Element. Sein Schwarz hat eine Masse, eine Gestalt, kann Leben zeigen und erzeugen.

Dabei steht am Anfang seiner Stadtbilder nur eine flache Kopie einer realen Stadtansicht. Im Internet, dem Hort der Milliarden x-beliebiger Bilder, findet Wolff jene zuweilen durchaus banalen Stadtansichten, die ihm als technische Vorlage dienen und dabei auslösendes Moment einer künstlerischen Aktion werden, in der dunkle Materie zu einer geheimnisvollen Klammer des Lebendigen wird. Die im Web gefundenen Fotografien liegen in der Regel mit einer Auflösung von 72 dpi vor. Genug für einen Computerbildschirm, manchmal ausreichend für einen halbwegs guten, kleinformatigen Fotodruck, eindeutig zu wenig für eine Darstellung auf einem Format, das über zwei Meter breit ist. Doch Wolff fängt genau da an, wo andere aus Angst vor der verpixelten Unschärfe das Handtuch werfen.

Beim Übertragen des kleinen Fotos aus dem Internet auf einen Film, der fototechnisch auf die Zinkplatte als Druckträger für die Radierung übertragen wird, gehen Details verloren. Beim Ätzen, wie es in der Aquatinta geschieht, erfährt das ursprüngliche Motiv noch einmal eine Veränderung hin zum Gröberen. Letztlich werden durch den eigentlichen Druck die Stadtansichten auf den Schwarz-Weiß-Effekt reduziert. Verlorene Details, gröbere, reduzierte Ansicht – was zunächst nach Verlust klingt, wird bei Wolff zum Gewinn.

Der Stadtraum folgt diversen technokratischen, kulturellen, ökonomischen oder auch ökologischen Zwängen und dient der Kanalisierung von individuellen Lebenswelten, die so unterschiedlich sind, wie es Menschen in dieser Stadt gibt. Doch wo ist im Stadtraum dieses Leben zu sehen? Man findet es nur, wenn man darin eintaucht, wenn man sich in die Häuserschluchten hineinwagt, wenn man mit offenem Blick all das aufnimmt, was einem die Sicht aus Höhe der Straße erlaubt, wenn man Türen öffnet, insbesondere jene, hinter die man sonst nie blicken würde. Je größer der Abstand wird, desto weniger erkennt man vom individuellen Leben der Menschen, der Kulturen, der sozialen Schichten. Man kann es allenfalls noch erahnen. Etwa am Licht, das aus den Schluchten der dunklen Stadt herausleuchtet. Wolff sucht diesen räumlichen Abstand und zaubert gerade in der dabei einsetzenden Entfremdung eine überraschende Intimität. Denn er zeigt letztlich nicht die eine, ganz besondere Stadt, sondern sein ganz persönliches Bild vom Leben in der Mega-City.

Das Schwarz wird zum mysteriösen Behälter für das Leben, das die darin eingestreuten hellen Zonen vermuten lassen. Die Lichter, mal scheinbar einer geordneten architektonischen Struktur folgend, mal eher zufällig gesetzt anmutend, lassen die Stadt als lebendigen Organismus erscheinen. Unterstützt wird das durch den Einsatz von Carborundum, das im Prägedruck eine amorphe Masse aufwirft, die Stauchungen und Risse, Falten und Schrunden aufweist. Diese Masse hat eine lebendige Oberfläche, die viele Assoziationen zulässt. Sind es geologische Prozesse, die zu diesen Falten geführt haben? Oder ein biologisches Wachstum im wechselhaften Spiel von Formation und Deformation? Wie organisch wächst eigentlich eine Stadt zusammen und wie ist das zu werten?

Wolff lässt diese Fragen offen, hält seine Foto-Aquatinta-Radierungen in einem spannungsreichen Schwebezustand. Letztlich kommt es also auf die urbanen Erfahrungen des Betrachters an, ob er diese Stadtbilder als Bedrohung oder als Faszinosum erlebt, ob er in dem Schwarz all das Düstere, Brutale, Menschenfeindliche der Mega-City sieht oder in den hellen Zonen die Verlockungen, Hoffnungen, Möglichkeiten des Lebens in der großen Stadt.

Wenn die Unschärfe das schärfste Protrait formt

Menschbilder – Foto-Aquatinta-Radierungen

Gleiche Vorgehensweise, gleiche Technik, aber eine komplett andere Motivwelt: In der Serie „Opfer/Täter“ nützt Ulrich J. Wolff ebenfalls wie in den Stadtbildern das Internet als Recherchemedium und Materialfundus und die Technik der Foto-Radierung. Allerdings hat sich der Künstler hier erstmals seit vielen Jahren wieder der menschlichen Gestalt gewidmet.

In der Übertragung des kleinen Formats aus der Internetvorlage auf die großformatige Zinkplatte und dann auf das große Papier gehen Details verloren. Was ist dann an solch einem Portrait noch original? Was ist daran noch wahrhaftig?

Die Spuren der technischen Übertragung und der künstlerischen Bearbeitung sind wie Spuren des Lebens, damit auch Spuren der Zeit und des Zerfalls. Erinnerungen verblassen. Bilder aus dem Gedächtnis weisen Lücken auf. Sie können im Laufe der Zeit verfälscht werden oder sich sogar ins Gegenteil verkehren. Unsere inneren Bilder verblassen oft schneller als Fotografien in einem Fotoalbum. Doch sind sie deswegen für uns gleich weniger wirklich als ein altes Farbfoto, das seit 40 Jahren immer bleicher wird, aber noch das Ursprungsmotiv klar erahnen lässt? Sind die Bilder unserer Erinnerung, egal wie verschwommen und nebulös sie auch sein mögen, nicht letztlich doch die schärferen, wahrhaftigeren, weil mit komplexen Emotionen, Sinneseindrücken und Geschichten belegten Bilder?

Wolffs Arbeiten aus der „Opfer/Täter“-Serie bewegen sich in diesem Schwebezustand zwischen Erkennen, Erinnern und Erlöschen. Das Gesicht der Serienmörderin Myra Hinley, die in den 60er-Jahren Kinder und Jugendliche grausam getötet hat, ist in Großbritannien zu einer Ikone des Bösen geworden. Das Gesicht der Täterin war ein öffentliches Bild für das Unmenschliche. Je mehr ihre Gesichtszüge zum Sinnbild für das Grauen wurden, desto mehr drängte dieses eine Bild die anderen Bilder von den Opfern in den Hintergrund.

Bei Myra Hinley war nach ihrer Omnipräsenz in allen Medien klar: So sehen eine Serienmörderin und das Böse schlechthin aus. Aber wie sieht ein Opfer aus? Die jungen Ermoderten schauen lustig, trotzig oder forsch, zurückhaltend, distanziert, fragend oder gelangweilt. Es sind seltsam gewöhnliche Bilder. Sie wurden damals nicht als Opfer fotografiert, eher schon als Hoffnungsträger, als Stolz der Familie. Diese Fotografien sind keine Ikonen geworden. Die Täter drängen sich in unserer Erinnerung nach vorne und löschen dadurch das Leben ihrer Opfer noch einmal aus.

Dies spiegelt sich in der Vergröberung der Pixel von der Internetgröße aufs Druckformat. Die Personen auf den ursprünglichen Fotos sind nur noch vage erkennbar. Ihre Formen, bedingt auch durch die Aquatinta-Ätzung, lösen sich auf. Das Sichtbare und die Erinnerung daran verschwinden. Auch wenn es sich bei diesen Arbeiten um Radierungen, also um ein grafisches Werk handelt, geht Wolff doch eher malerisch an das Sujet heran. Auf verschiedenen Ebenen und Wegen erzielt er in der Auflösung der Foto-Formen eine neue Form für das Unfassbare und das Unfassliche zu finden. Dabei bliebt er wieder in einem spannungsreichen Schwebezustand zwischen dokumentarischer Wirkung mit all ihren Zeitspuren wie Flecken oder Kratzern und einer freien künstlerischen Wirkung, die sich vom ursprünglichen Ereignis trennt und zu Neuem, Unerwartetem führt.

In der Serie „Sieben Schwestern“ wirkt der Ausgangspunkt weniger dramatisch, und doch funktionieren die Portraits der Familienangehörigen ähnlich wie die „Opfer/Täter“-Arbeiten. Auch hier geht es um den Wert der Erinnerungen. Welches Maß an Authentizität ist in der Fotoradierung nach all den Übertragungsschritten noch gegeben? Was sagt letztlich mehr über den portraitierten Menschen aus? Ein Foto, vielleicht schnell aus einer Laune heraus gemacht oder zweckgebunden und bewusst fotografiert? Da ist die Glätte des Massenprodukts und das Wissen um die beliebige Reproduzierbarkeit. Auf der anderen Seite die Fotoradierung, ein Unikat, eines mit – scheinbaren – Fehlern und – auf den ersten Blick - weit weg von unserer Vorstellung eines realistischen Portraits.

Aber gerade in der Entfernung vom Authentizität vorgaukelnden Foto gelingt Wolff die intime Annäherung an die Person. Die künstlerische Bearbeitung ist kein mechanischer Vorgang, sondern beeinflusst von Erinnerungen des Künstlers, von spontanen Eingebungen, die vielleicht gar nicht so impulsiv sind, weil sie letztlich lange verborgenen Bildern in seinem Inneren folgen. Hier fließen Begegnungen und Situationen ein, Zu- und Abneigung, jede Menge persönliche Emotionen. Viel mehr, als es ein gewöhnliches Portraitfoto zu leisten vermag. Hier ist letztlich alles im Fluss. Und der Betrachter ist aufgefordert, sich sein eigenes Bild zu machen.

 
Katalogabbildung
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